Der Tag, an dem der belgische König im Kunstverein Schwerte anrief

Ulf Weingarten schließt die Tür zum Kunstverein: Eine große Zeit ist zuende. Foto: Ingo Rous

Schwerte. So geräuschlos sich der Kunstverein Schwerte im vergangenen Februar aus dem Schwerter Kulturleben verabschiedet hat, so fulminant war doch seine Kunst-Geschichte, die er in den 29 Jahren seines Bestehens in der Ruhrstadt geschrieben hat. Chapeau, so muss man sagen! Ulf Weingarten, Künstlerischer Leiter seit der ersten Stunde, war die DNA des Vereins, der viele Jahre sein Domizil im historischen Wuckenhof aufgeschlagen hatte. Der Kunstverein war sein Lebenstraum, ein einziges Abenteuer. In loser Folge wollen wir Blicke zurück in die bemerkenswerte Vereinsgeschichte werfen. Heute unter dem Titel: Der Tag, an dem der belgische König im Kunstverein Schwerte anrief.

Und das kam so: Schon lange vor Gründung des Schwerter Kunstvereins im Jahre 1987 waren Ulf Weingarten und Mechthild Heimann Stammgäste im Museum für Gegenwartskunst in Gent, dessen Direktor der legendäre Ausstellungsmacher und spätere Leiter der documenta IX, Jan Hoet seinerzeit war. Man begegnete sich in Vorträgen und anderen Veranstaltungen, knüpfte Kontakte und ließ sich schließlich von Hoets berühmter Ausstellung „Chambres d’Amis“ zur Bildung eines Kunstvereins in Schwerte inspirieren.

Gent zu Gast in Schwerte

Was lag da näher, als zum zehnjährigen Bestehen im November 1997 eine Ausstellung mit denen zu organisieren, die die Initialzündung gegeben hatten. „Gent zu Gast in Schwerte“ hieß denn auch die grandiose Bilderschau mit Meisterwerken der Gegenwartskunst, die Arbeiten von Künstlern wie Francis Bacon, Gerhard Richter, Joseph Beuys, Marlene Dumas, Rene Magritte, Bruce Naumann oder Marcel Broodthaers im Wuckenhof zusammen führte. Jan Hoet hatte gerne für Schwerte den Kurator gespielt und eine Ausstellung konzipiert, um die manches Kunstmuseum den Kunstverein beneidet hat. Zwei Tage lang weilten die Genter im Wuckenhof an der Kötterbachstraße, um ihre kostbaren Leihgaben, allesamt Meisterwerke aus der eigenen Sammlung, mit Akribie zu platzieren.

Der Museumsdirektor hatte die Schätze aus seinem Fundus völlig unbürokratisch nach Schwerte ausgeliehen. Ohne Vertrag, Handschlag genügte. Tag und Nacht mussten die kostbaren Stücke von Vereinsmitgliedern bewacht werden, „nur so war die Versicherungsgesellschaft bereit, einen Vertrag mit uns zu schließen – und das in einer Höhe, die wir nicht hätten aufbringen können, wäre uns nicht die Sparkasse Schwerte mit einer großzügigen Spende zu Hilfe gekommen“, wie sich Ulf Weingarten heute erinnert. Es gehört zu den wohl schönsten Erlebnissen im Kunstverein, dass „24 Stunden am Tag über den Zeitraum eines Vierteljahres Mitglieder ihre Zeit zur Verfügung gestellt haben, damit wir die Ausstellung in Schwerte zeigen konnten“, blickt Weingarten zurück.

„Ich muss meinen König anrufen!“

Jan Hoet im Juni 2010 bei der Eröffnung vor der Skulptur „offer“ von Johan Tahon. Foto: Archiv Kunstverein

Mit großer Freude erinnert er sich auch an einen Vorfall wie diesen: Bei der Besprechung der Ausstellungsorganisation für „Gent zu Gast in Schwerte“ sprang Jan Hoet plötzlich vom Kaffeetisch auf: „Ich muss eben meinen König anrufen! Wo ist das Telefon?“ Er hatte mit König Albert II von Belgien, dessen Kunstberater er war, einen Anruf vereinbart und den Termin verschwitzt. Nach kurzem Telefonat schien das Gespräch beendet. Als wenig später das Telefon wieder klingelte sagte Jan Hoet: „Das ist mein König. Er wollte nicht, dass der Kunstverein das Telefongespräch nach Belgien bezahlen muss.“ Dann meldete er sich mit  „Kunstverein Schwerte – Jan Hoet“ – das  Gespräch mit Albert II dauerte eine gute halbe Stunde.

Seinen letzten Auftritt in Schwerte hatte Jan Hoet im Kulturhauptstadtjahr Ruhr 2010. Über seine besonderen Kontakte zu Hoet war es dem Kunstverein gelungen, mit Johan Tahon einen Bildhauer von Weltklasse für einen mehrwöchigen Arbeitsaufenthalt in der Ruhrstadt zu gewinnen. Vor den Augen der Öffentlichkeit erstellte Tahon am und im Wuckenhof eine Skulptur für den öffentlichen Raum, die in der Stadt bleiben sollte. Damit erhielt Schwerte eine Arbeit, wie sie sonst nur in den bekanntesten Ausstellungshäusern der Welt zu sehen sind. Zur Einweihung der Skulptur war Jan Hoet, Entdecker von Tahon, noch einmal an die Ruhr gereist. „The Offer“ heißt die Bronze-Skulptur, die im Landschaftspark hinter der Rohrmeisterei ihren Standort gefunden hat. „The Offer“ bedeutet im niederländischen „Das Opfer“ und im englischen „Die Gabe“ und zeigt eine männliche Figur, die in ihrer Struktur auf die Unendlichkeit des Universums verweist.

Raumdimensionen gerieten aus den Fugen

In Raum 3 des Kunstvereins hatte Roland Geissel Wände, Fußboden und Decke bemalt und so die Dimensionen des Raums völlig aus den Fugen geraten lassen. Foto: Archiv Kunstverein

Die Räume des Kunstvereins selbst zum Kunstwerk gemacht hatten zuvor schon Künstler wie Roland Geissel, Horst Schuler und die Ausstellungsmacher von „Amorph“. Roland Geissel hatte in Raum 3 des Wuckenhofs Wände, Fußboden und Decke bemalt und so die Dimension des Raums völlig aus den Fugen geraten lassen: „Einerseits waren die Tiefendimensionen völlig verschoben, andererseits hatte der Raum einen fast zweidimensionalen, eher grafischen Charakter“, blickt Ulf Weingarten auf die Ausstellung „incantation“ im Mai/Juni 2002 zurück.

30 Jahre war er alt und schon war Horst Schuler eingeladen zur Teilnahme an der 7. documenta in Kassel. Es gibt keine documenta, zu der der Kunstverein nicht mindestens eine Fahrt organisiert hat. 1996 also lernten die Mitglieder das Werk von Horst Schuler kennen – und waren begeistert. Weingarten: „Dass Schuler dann in Schwerte ausstellte, ist eine allerdings an Zufällen reiche Geschichte.“ Schließlich aber verlegte er für 14 Tage sein Zuhause in die Räume des Kunstvereins. Während dieser Zeit entstand die Ausstellung „horstblauschuler“. Sie konnte nur durch die Mithilfe junger, kunstbegeisterter Männer aus Schwerte in so kurzer Zeit realisiert werden.

Durch Farbe gehen

Blick von außen bei Eintritt der Dämmerung: Durch Farben gehen hieß die Ausstellung von Susanne Stähli. Foto: Archiv Kunstverein

Für die Ausstellung „Amorph“ mit Arbeiten von Tobias Hantmann, Skafte Kuhn, Seb Koberstädt und Andrew Palmer bestand der Beitrag von Koberstädt darin, Raum 1 des Kunstvereins in eine Kunst-Höhle umzubauen. Mit dem Raum mussten vier Jahre lang alle anderen Künstler umgehen und auf ihn reagieren. Das reichte von großen Wandmalereien bis zur annähernden Zerstörung dieses Kunstraums.

Aus den Kunstvereinsräumen Lichträume zu machen, das ist Susanne Stähli mit ihrer Ausstellung „Durch Farbe gehen“ gelungen. Weingarten: „Deutlicher ist in den fast 30 Jahren Kunstverein nie geworden, dass niemand „zweimal in dieselbe Ausstellung“ geht (frei nach Heraklits „Panta rhei“). Um überhaupt zu erfassen, was hier mit der Farbe und durch die Farbe geschah, musste man schon mehrfach kommen und möglichst auch die Frühöffnungszeiten (6 bis 9 Uhr) und die Nachtöffnungszeiten (20 bis 24 Uhr) nutzen. Der Wuckenhof erstrahlte, innen wie außen, in anderem Licht und öffnete einen neuen Blick für die Räume.

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